Von Hundeverstehern und anderen Wesen

 

Meine Nachbarin ist eine Hundeversteherin. Denkt sie. Keine Sorge Susi du bist nicht gemeint. Jedes Mal, wenn ich sie treffe, zieht sie ihren Welpen von meinem Hund weg. Obwohl der Welpe meinem Hund die meiste Zeit ziemlich egal ist. Er hat in etwa die gleiche Größe und stellt somit in den Augen von Jack keine Gefahr, außer Lästig sein, dar. Also lässt Jack die kleine immer Schnuppern und an guten Tag geht er sogar auf ihr Spiel ein. „Nein, nein, der will das nicht“ tönt dann aber gleich die Stimme der Besitzerin. „Siehst du nicht das der das nicht mag?“ Meine innere Stimme: „Ähm, nein, eigentlich ist ihm das wurst.“ „Na schau, der findet das gar nicht gut“ säuselt die Nachbarin weiter. Wozu sie diese ganze Information an den sowieso schon überforderten Hund gibt, samt Füllsätzen, ist mir schleierhaft. „Na komm, lass ihn“ flötet die Geschichenerzählerin weiter ohne das es irgendeine Reaktion von ihrem Hund gibt. „Oje„, denk ich mir. Wieder eine Hundebesitzerin, die die Hundesprache so gar nicht versteht.

Hundesprache ≠ Menschensprache

Missverständnis, wie dieses, sind immer wieder Grund für Konflikte von Hund und Hund oder Hund und Mensch. Das kann, insbesondere im städtischen Raum, wie es leider momentan wieder viel zu stark im Fokus steht, richtig arg nach hinten losgehen.

„So, jetzt gehen wir aber weiter, weil der will ja nicht spielen“, liegt mir die Nachbarin wieder im Ohr und zieht ihren Welpen hinter sich her (am Brustgeschirr wohlgemerkt, also wenigstens das hat sie richtig gemacht 😉 ). Dummerweise müssen wir in die gleiche Richtung, weil sie ja meine Nachbarin ist, das scheint sie aber immer wieder zu vergessen (oder vergessen zu wollen, bei ihr weiß man das nicht so genau). Also lass ich etwas Abstand und gehe dann hinterher. Da Jack am Abend sehr motiviert ist schnell in sein Bett zu kommen, sind wir in wenigen Schritten fast wieder gleichauf. Der Welpe hat das auch bemerkt und zieht verzweifelt in unsere Richtung. Er will sich einfach so gern mit dem alten Nachbarn Jack unterhalten. Nicht so Frauchen, die zieht in weiterhin erbarmungslos in die Gegenrichtung. Da mir das Kerlchen leid tut bleibe ich nochmal stehen, obwohl es saukalt ist und gebe den beiden etwas Vorsprung. Jack sieht mich verwirrt an. Er hat schon gepieselt und alles erledigt.

Sprechen Sie hundisch?

Hab ich das bei der Nachbarin schon mal angesprochen? Wer schon 13 Jahre einen Hund hat, hat diesen Fehler eventuell in den ersten Jahren gemacht, dann aber sang- und klanglos aufgegeben, denn in den meisten Fällen sind diese Leute angeborene Hundeversteher. So zu sagen studierte Hundepsychologen und Kynologen in einem. Von der Sorte gibt es da draußen unglaublich viele. Manche davon sind sogar Politiker. Wie schlimm muss so eine Situation erst für Tiertrainer und Hundetrainer sein? Beißen dies ich dann auch auf die Zunge?

 

Wir haben den Welpen und die Nachbarin in der Zwischenzeit wieder eingeholt. „Nein er mag nicht, lass das“. Ich atme noch einmal tief ein, nicke der Nachbarin zu und gehe noch ein Stückchen weiter. Soll ihr das doch der Rütter erklären.

Baby und Hund, geht das?

Im Umkreis von Doggy Date ist einiges an zweibeinigem Nachwuchs passiert. Grund genug um uns die Frage zu stellen „Wie ist das Leben mit Baby und Hund“? Dazu hatten wir die Freude Bina Lunzer, Tiertrainerin mit Schwerpunkt Hund bei Happy Training, wo Familienhundetraining im Vordergrund steht, zu interviewen. Bina hat schon seit langem eine Verbindung zu Tieren. Laut ihren Eltern ist sie „viecherdeppert“. Als ihr der Wunschhund verwehrt wurde hielt sie Silberfischchen in der Badewanne und Schnecken in ihrem Nachtkästchen. Schnell begriffen ihre Eltern allerdings, dass das so nicht weitergehen kann und so wurde die Familie um Meerschweinchen, Wellensittich und Pferd erweitert. Das Thema Hund hat sie allerdings nicht losgelassen und so kümmerte sie sich intensiv und täglich um Nachbarshunde. Bis sie den Traum vom eigenen Hund verwirklichen konnte dauerte es noch ein Weilchen und zwar bis zur Gründung ihrer eigenen Familie. Der zweite Hund in Bines Leben war etwas kompliziert und mitunter auch der Grund, warum sie ihre erste Tiertrainerausbildung begann. Aus dem Hobby wurde eine Berufung. Inzwischen ist Bine so erfolgreich, dass sie eine Mitarbeiterin und zwei weitere in Ausbildung hat. Bine bezeichnet die Selbständigkeit als eine der besten Entscheidungen in ihrem Leben.

Nachwuchs kommt – Hund muss weg

 

Doggy Date: Ich lese oft im Internet: „Unser Baby kommt, deswegen muss der geliebte Hund weg.“ Was sagst du dazu?

 

Bina: Genau das hatte ich leider recht oft in meinem Umfeld bei Bekannten. Es waren ohne Ausnahme keine ernsthaften Verhaltensprobleme, sondern meistens ein kleines Gute-Manieren-Defizit beim Hund: Klar ist es mit Kinderwagen nervig, wenn der Hund an der Leine zerrt – tatsächlich kann man Leinenzerren in nur wenigen Trainingstagen oder maximal -wochen beheben. Deswegen hab ich angefangen, mich für das Thema zu interessieren – und so bin ich auf Jennifer Shryock gestoßen. Sie hat vor über 15 Jahren in Cary, North Carolina, mit Dogs & Storks begonnen. Das Elternbildungsprogramm soll junge Familien schon in der Schwangerschaft bei der Vorbereitung des Hundes auf seine neue Rolle unterstützen. Inzwischen gibt es weltweit knapp 200 lizensierte Vortragende von Family Paws Parents Education International, unser deutsches Netzwerk www.familiemithund.info hat Trainerinnen in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Durch unsere Sponsoren können wir im dt. Raum die Vorträge für Schwangere und Eltern von Kleinkindern sogar kostenlos anbieten. Ich persönlich hatte seit Lizenzierung 2013 schon den einen oder anderen wirklich heißen Fall, wie etwa dass der Hund das Baby gleich bei der ersten Begegnung – also am 5. Lebenstag – so fest beißt, dass es zum Arzt muss. Glücklicherweise musste ich bislang noch nie eine Abgabe empfehlen. Bisher haben wir es durch Training immer geschafft, für Sicherheit und Harmonie zu sorgen und dem Hund die Angst vor dem Baby zu nehmen.

 

Den Familienhund babytauglich machen

 

Doggy Date: Was sind die Hauptkriterien, die man beachten sollte, wenn ein Baby in die Familie kommt, in der schon ein Familienhund da ist?

 

Bina: Hier sind meine top 3 Tipps während der Schwangerschaft:
1. Vergiss die Rasse, schau aufs Individuum: Nur weil ein Hund möglicherweise in einem Land zufällig ein Listenhund ist, heißt das nicht, dass er kein wunderbarer Familienhund sein wird. Es kommt auf die Erfahrungen an, die ein Hund über die Lebenszeit mit Kinder macht. Anders gesagt: Kein Hund der Welt bleibt kinderfreundlich, wenn er täglich Überforderungen rund ums Kind erlebt. Bitte nicht ausruhen auf Marketingmaschen von Zuchtclubs, die „ihre Rasse“ als besonders kinderfreundlich anpreist. Das erzeugt eine Scheinsicherheit, die es in der Realität nicht gibt. Und es ist nicht fair gegenüber einem Goldie, Labby oder Westi, ihm eine sinnvolle Vorbereitung aufs Familienhundedasein vorzuenthalten, nur weil er angeblich die „richtige“ Rasse hat.
2. Niemals unbeaufsichtigt: Hund und Kind sollten niemals unbeaufsichtigt interagieren – es braucht die 100% wachsame Beaufsichtigung durch einen Erwachsenen, um schnell eingreifen zu können, falls aus Spiel Ernst wird. Für die Zeit, wo Beaufsichtigung nicht möglich ist, kann man Hund und Kind durch eine geschlossene Tür trennen, durch ein Kindergitter, eine Gehschule oder eine Hundebox separieren.
3. 9 Monate Schwangerschaft sind jede Menge Zeit, um Gute Manieren aufzupolieren oder sich neu zu erarbeiten. Nutzen Sie die.

 

„No-Go“ bei Hund mit Kind

 

Doggy Date: Was ist ein absolutes „No-Go“ bei Hund mit Kind – ich denke da an den Schnuller, den der Hund im Mund hatte?

 

Bina: Hunde und Kinder ohne Aufsicht.
Traditionelle Erziehungsmethoden von Familienhunden. Im Haushalt mit Kind & Hund ist gewaltfreies, modernes Tiertraining doppelt wichtig. 1. zeigen Studien, dass Konfrontationsmethoden Aggressivität fördern verglichen mit Hunden, die über positive Verstärkung trainiert werden. 2. Machen Kinder das nach, was sie bei Erwachsenen sehen. Sie können also 1000x zu Ihrem Kind sagen: „Nur ICH darf den Hund schlagen / mit der Wasserpistole ansprühen / mit einer Klapperscheibe bewerfen, DU darfst das nicht!“ – Das Kind wird in einem unbeobachteten Moment die Eltern imitieren. Das ist ein Sicherheitsrisiko.

 

Doggy Date: Was möchtest du werdenden Müttern mit Hund mitgeben, damit das Zusammenleben mit Kind und Hund in Zukunft besser funktioniert?

 

Bina: In der letzten Phase der Schwangerschaft und in den ersten Monaten mit Baby würde ich jeder Mutter empfehlen, angebotene Hilfe anzunehmen – mit oder ohne Hund. Klar können wir alle unser Kind allein aufziehen, es macht nur allein weniger Spaß. Vielleicht gibt es einen Nachbarn, der keine Zeit hat für einen eigenen Hund, aber sich abends über einen ausgeborgten Hund sogar freut. Oder es gibt eine Oma, die liebend gern eine Stunde aufs Baby schaut, dass man mit dem Hund zum Mantrailen gehen kann und ihn geistig fordert, damit er danach entspannt und glücklich ist.
Die Kunst des glücklichen Familienlebens ist, dass jeder auf seine Kosten kommt, auch der Hund und – ganz wichtig! – auch die Mutter. Heutzutage bleiben die Bedürfnisse von Multitasking-Supermüttern öfter mal auf der Strecke, langfristig macht sich das auf jeden Fall bemerkbar.

 

We are family – I’ve got all my sisters, a dog and me

 

Doggy Date: Was sollen Familien beachten die Kinder haben und sich jetzt einen Hund nehmen wollen?

 

Bina: Situationen von Familien sind sehr individuell und es gibt jede Menge Entscheidungen zu treffen: Welche Größe soll der Hund haben? Langhaar oder Kurzhaar? Wie ist unser Lebensstil? Züchter oder Tierschutz? Wie erkenne ich einen seriösen Züchter oder eine seriöse Tierschutzorganisation? Bei Happy Training bieten wir kostenlose Welpeninfoabende an und kostenlose Beratung vor dem Hundekauf für erwachsene Hunde. Wenn man im Vorfeld weiß, was auf einen zukommt, und einen Hund auswählt, der zum eigenen Lebensstil passt, entstehen viele Probleme gar nicht erst.

 

Doggy Date: Einige Leute neigen dazu Hunde in Kampfhund und „andere Hunde“ einzuteilen. Gibt es aus deiner Sicht Hunderassen die sich für Kinder überhaupt nicht eignen? Und wenn ja, warum?

 

Bina: Sogenannte Listenhunde sind weder schlechtere, noch bessere Familienhunde als andere Rassen. Ich würde bei sehr kleinen Kindern keinen Miniaturhund dazunehmen, einfach weil die physisch nicht so belastbar sind wie mittelgroße Hunde: Wenn eine 18 Monate alte Patschhand ungeschickt in ein Rottweilergesicht patscht, gibt das ein Schütteln und das wars. Ein Chihuahua hat vielleicht bei gleich fester Einwirkung das Gefühl, ihm fliegt der Kopf davon. Ansonsten würde ich mir die Wohn- und Lebenssituation der individuellen Familien genau ansehen, bevor ich Rasseempfehlungen ausspreche.

 

Doggy Date: Liebe Bina, danke dir vielmals für deine Zeit und vor allem deine spannenden Infos.